Fotos: Rifail Ajdarpasic
PRESSE | REVIEWS
“(...) Für Neuenfels und sein Regieteam (Bühnenbild: Rifail Ajdarpasic; Kostüme: Elina Schnizler) zählt die zentrale Frage des Ödipus-Stoffes, inwieweit der Mensch vom Schicksal bestimmt wird oder frei in seiner Entscheidung ist. (...) Wie so oft bei Neuenfels mangelt es auch seiner "Ödipus"-Inszenierung, die der besseren Verständlichkeit und Klarheit wegen auf Deutsch gesungen wird, nicht an Ideen und Bildgewalt. Wobei sein Einfall, dass sich dieser Archäologe zunächst nur als Beobachter Einblick in eine antike Welt verschafft, um dann bei einem Gang durch einen Türrahmen sich in Ödipus zu verwandeln, schon ein genialer Schachzug ist. (...) Wesentlicher Vorteil von Neuenfels stark komprimierter Frankfurter Fassung von Enescus "Ödipus"-Oper ist die dramatische Konzentration. Die Geschichte dieses unglückseligen Helden und seines Mythos, der durch Sigmund Freud bis in die moderne Psychoanalyse nachwirkt, wird packend erzählt und gewinnt zunehmend an Intensität und Ausdrucksschärfe. Das ist natürlich in erster Linie den auch schauspielerisch stark geforderten Sängern zu verdanken, allen voran dem britischen Bariton Simon Neal, der keine antike Gottheit, sondern eine Person aus Fleisch und Blut mit all ihrer Leidensfähigkeit auf die Bühne stellt. So gerät sein Treffen mit der Sphinx zu den faszinierendsten Szenen dieser Premiere. Wie Katharina Magiera als Sphinx ihre Verführungskünste ausspielt, darstellerisch wie stimmlich mit geschmeidig angegangenen Vierteltönen und Glissandi, ist grandios. (...) Am Ende zeigt sich das Premierenpublikum enthusiastisch und spendet vor allem Simon Neal, Katharina Magiera, dem Chor und dem gesamten Regieteam eifrig Beifall. (...)“ Frankfurter Neue Presse
“Dieser Ödipus ist kein vom Schicksal gebeutelter Jüngling, sondern ein reifer Mann. Er weiß, was er tut. Er musste Prüfungen bestehen, um König von Theben zu werden: den Vater erschlagen, der Mutter beischlafen und die menschenfressende Sphinx überlisten. Umso länger dauert es am Ende, bis er begreift, dass wirklich er gemeint ist, als man den Mörder des Königs Laios sucht. Das Urteil hat er selbst schon gesprochen, nicht ahnend, dass er es an sich selber vollstrecken muss. Und als er es endlich begreift, ist ihm auch dieses Urteil der Verbannung noch zu milde, und er sticht sich die Augen aus. In einer gelungenen Neuproduktion an der Oper Frankfurt erzählt Regie-Altmeister Hans Neuenfels die Oper des rumänischen Komponisten George Enescu von 1936 recht drastisch, er lässt den gebrochenen Ödipus mit bluttriefenden Augen noch einmal vors das Publikum treten und seine ganze Verworfenheit und Seelenqual herausschreien.
Wie aber kann man diese sophokleische Ur-Tragödie heute glaubhaft auf die Bühne bringen, ohne dramatische Brüche einzubauen, ohne sich reflektierend davon zu distanzieren? Neuenfels vertraut der geradlinigen Erzählung, dem starken Wort, der stringent durchgearbeiteten Musik, die den Zuschauer von der kurzen, bedrohlichen Einleitung bis zum ebenso knappen schaurigen Ende nicht mehr loslässt. Man tat gut daran, das gereimte französische Original durch eine packende - ungereimte, aber nicht weniger poetische - deutsche Version zu ersetzen. So vermied man das gekünstelt Kulinarische einer traditionellen Oper und eröffnete sich den Freiraum des unwägbareren und unmittelbareren Musiktheaters. (...)
Es ist ja schon hinreichend Paraphrasierendes enthalten, modern überhebliche Anverwandlung des antiken Mythos. Wenn Ödipus der Sphinx entgegenschleudert, der Mensch sei stärker als das Schicksal, so mag dies in den Dreißiger Jahren des letzten Jahrhunderts noch als sich selbst erfüllender Optimismus durchgegangen sein, heute ist es Hybris. „Es ist keine Erkenntnis, außer der Hoffnung“ steht am Ende auf dem Vorhang, der die Bühnenwände, vollgemalt mit chemischen und mathematischen Formeln, einfach überschreibt.“ Süddeutsche Zeitung
“Zehn Pfeile weisen immer in die gleiche Richtung, aber es gibt auch andere Zeichen: ein Formelwerk aus Stochastik und organischer Chemie auf raumhohen Schultafeln. Wohin soll das führen? Der Archäologe mit Stirnlampe (Simon Neal), ein Berufs-Empathiker, verliert sich in den eigenartigen Konstellationen der Geschichte des Königssohnes Ödipus. Immer die gleiche Geschichte, gegen jede Wahrscheinlichkeitsrechnung, jeden Freiheitsbegriff: Obwohl Ödipus nichts von dem, was er tut, absichtslos tut, ergibt das Ganze seiner Handlungen am Ende genau das, was er verhindern will. Aber im Gegensatz zu Sisyphos nimmt er die mythische Bürde nicht duldsam an, sondern lehnt sich auf. Versucht, alles anders zu machen, neue Wege zu gehen. Wenn wir uns, nach Camus, Sisyphos als glücklichen Menschen vorstellen müssen, dann ist Ödipus eine Figur, in der sich menschliche Individuation und menschliches Unglück konzentrieren. (...)
Es ist keine in einem relevanten Maße werktreu zu nennende Enescu-Inszenierung. Aber es ist eine Arbeit, die man sich - womöglich gerade wegen ihrer inhaltlichen Unabhängigkeit - mit großem Gewinn ansehen und anhören kann. (...)
Hohe schwarze Tafeln verweisen auf die Begrenzung der Welt durch Schulweisheit, mittendrin wird Ödipus (schulweisheitswidrig) aus einem Ei geboren, in dessen Schale bekanntlich schon alles, was später herauskommt, determiniert ist. Der Archäologe verwandelt sich selbst in die mythische Figur, der er nachspürt, und geht in einer Welt des formelhaften Wissens seinen Weg, der von all diesem Wissen nicht beeinflusst wird. Diese durch und durch dialektische Sicht auf Freiheit wird auch von der Sphinx vertreten, wenn sie zwar stirbt, dabei aber zugleich ihre Niederlage dementiert. (...)
Liebreich findet für Enescus oft überbordende Orchestersprache eine Klangbalance voller spätromantischer Klarheit, die sich von Modernismen (etwa Mikrointervallik) nicht irritieren lässt und mit dem strengen Bühnenbild (Rifail Ajdarpasic) eine permanente Reibungshitze produziert. Das ist keine kleine Leistung. (...)
Dass diese reflektierende Kollektivierung in der Geschichte, die sonst nur einen Namen trägt, real wird, ist ein Verdienst dieser wunderbaren Sängerinnen wie der mutigen dramaturgischen Entscheidungen, die hier eingegangen worden sind.“ Frankfurter Rundschau
“(...) Stärker als die beiden früheren Produktionen rückt Neuenfels die Figur des Vatermörders und Mutterschänders wider Willen in den Mittelpunkt, lässt die Zuschauer das Geschehen sogar weitgehend aus dessen Sicht erleben. Ödipus, von Simon Neal mit großer darstellerischer Intensität und noch größerer stimmlicher Hingabe verkörpert, ist, wie die Elektra von Richard Strauss, vom ersten Augenblick an auf der Bühne: Als Seelen-Archäologe mit Grubenlampe dringt er vor bis in die Urgründe seiner fatalen Existenz, er erlebt die eigene Geburt mit, und schon das Kind, das da aus einem goldgerandeten Riesenei gezogen wird, trägt das Stigma des Mörders.
Bei Neuenfels weiß Ödipus also, dass er nicht der untergeschobene Sohn der korinthischen Königin Merope (Jenny Carlstedt) ist. Er könnte im Folgenden auch wissen, wen er da an einem Kreuzweg erschlägt, nachdem der selbstherrliche Thebanerkönig Laios (Hans-Jürgen Lazar) ihm seine Verachtung denkbar drastisch gezeigt hat, indem er auf ihn, den Sohn, uriniert. Doch alles Wissen nützt dem, der vor seinem Schicksal flieht, wenig. So wenig wie die unzähligen Formeln zur Wahrscheinlichkeitsrechnung, mit denen Rifail Ajdarpasic den Einheitsbühnenraum aus schweren Schiefertafeln geschmückt hat. Stochastische Berechnungen mit „Zufallsvariablen“, „Erwartungswerten“ und anderen rationalen Zaubereien laufen nämlich ins Leere, sobald der Mensch einmal in die Fänge des eigenen Mythos geraten ist. Dann wird er Opfer seiner Bestimmung - der Archäologe kann der Geschichte nicht mehr entfliehen. (...) Großartig ist das - und hätte gut und gerne doppelt so lange dauern dürfen.“ Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ)
“Indiana Jones. Ja, kommt hin. Stellen wir uns den gerade mit Lampen und Staubschutz Suchenden als modernen, aus dem Kino bekannten Mythenforscher vor. Den Gral, die Bundeslade, den grünen Diamanten, das Juwel vom Nil, das hat er mit archäologischer Akribie als Ziel vor sich, mindestens. Doch in der irrgartenartigen, von Schiebetüren abgeteilten, von Neonpfeilen gerahmten Raumflucht aus Kreidetafeln, die über und über bedeckt sind mit mathematischen und chemischen Formeln, findet er am Boden schließlich: Erkenntnis. Und sich selbst. Was niemals ein sonderlich bequemer Weg ist. "Es gibt keine Erkenntnis außer der Hoffnung", verkündet schließlich als bitteres Fazit die Schrift an der Schieferwand.
Dieser Reisende ins Ich, den hier der Regisseur Hans Neuenfels an der Oper Frankfurt staunend und zunehmend erschrocken losschickt und durch einen Türrahmen quasi auf die andere Seite treten lässt, er hat ein besonderes Schicksal, von dem er wissen will, ob er ihm entgehen kann. Es ist Ödipus, der Vatermörder, der Mutterschänder. (...)
Doch wo Enescu mehrere Sophokles-Tragödien für einen vollständigen Lebensabriss des Ödipus von der Wiege bis zur Bare ausschlachtet, da konzentrieren sich Neuenfels und sein deutscher Übersetzer Henry Arnold in 100 pausenlos verdichteten Minuten. Am Schluss eliminieren sie Enescus, als vierten Akt aus dem "Oedipus in Kolonos" gesogenes, statisch-oratorienhaftes Weiterleben und erlösungsbereites Sterben. Er irrt nach dem Selbstmord Jokastes und seiner Blendung blutend mit der Tochter Antigone (mit lichter Klarheit: Britta Stallmeister) in die Ferne. Alles ist gesagt, das Weitere scheint folgerichtig.
Es ist trotz aller Ungeheuerlichkeiten ein heller, fast heiterer, sanft didaktischer Opernabend geworden. Alexander Liebreich am Pult modelliert und knetet plastisch die kantigen Schönheiten der kraftvollen Partitur. Der klangprächtige Chor gibt im schwarzem Fustanella-Rock den neutralen Kommentator. Und das hervorragende Frankfurter Opernensemble hat wie auf dem Catwalk lauter schöne, vignettenhafte Einzelauftritte. (...)“ Die Welt
“(...) Das viel zu selten gespielte Werk gilt als musikalisch kopflastig, dramaturgisch missglückt und szenisch undankbar. Zu Unrecht, wie Neuenfels zeigt, der das Stück textverständlich auf Deutsch bringt, überzeugend Änderungen vornimmt und den letzten, religiös verklärenden Akt streicht, so dass das Ganze mit der Blendung und Verbannung von Ödipus endet.
„Der Mensch“, lautet bei Enescu Ödipus' Antwort auf die Sphinx-Frage, was stärker sei als das Schicksal. Damit wird Ödipus zum modernen Jedermann, zum von sich selbst überzeugten Wahrheitssucher um jeden Preis. Diese Perspektive greift Neuenfels auf, wenn er ihn eingangs als Spuren suchenden Archäologen, später als Dozenten im Hörsaal zeigt, der sich mit dem Mythos identifiziert und schließlich als schuldlos Schuldiger die Augen aussticht, als er erkennt, dass er keinen freien Willen hat.
Das verschafft der Handlung eine überzeitliche Gültigkeit, ohne zum Holzhammer der Aktualisierung zu greifen. Im Gegenteil, Hans Neuenfels gibt dem Spiel einen fast lehrhaft-ironischen Zug, der den Ernst immer wieder bricht. Rifail Ajdarpasic hat ihm dafür eine Bühne aus verschiebbaren Wänden entworfen, die wie Schultafeln mit mathematischen Formeln überschrieben sind. (...)
Der Regisseur bringt die Stationen der Handlung pointiert unverrätselt ins Bild. Haften bleiben dabei neben der Geburt aus dem Ei vor allem die Auftritte des in einen Laufgitterkäfig eingepferchten blinden Sehers Tiresias (Magnús Baldvinsson), des in Suada wie Spiel weibischen Kreon (Dietrich Volle), der herben Jokaste (Tanja Ariane Baumgartner) sowie der Sphinx (Katharina Magiera), einem verführerischen Hollywood-Sexstar, wobei Neuenfels bewusst offenlässt, ob die mit Gelächter aus dem Leben Scheidende tatsächlich besiegt wurde.
Im Zentrum freilich stehen die beiden das Drama tragenden Protagonisten - Ödipus, den Simon Neal mit deklamatorischer Genauigkeit und nuancierter Kraft verkörpert, sowie sein Gegenspieler, der grandios singende Chor, von Neuenfels als kompakte, auch im Jubel noch bedrohliche Masse choreografiert. Analytisch genau arbeitet er zudem heraus, wie Ödipus sich in sich selber verstrickt, bis kein Ausweg mehr bleibt - brennend ins Bild gehoben, wenn der Geblendete mit dem leeren Türsturz hereintaumelt, durch den er zu Beginn ins Spiel getreten war. Aus dem selbstbewusst Suchenden wird ein tragisch Scheiternder - Symbol des Rätsels Mensch!“ Stuttgarter Zeitung
“(...) Die Uraufführung in Paris 1936 war ein großer Erfolg. Dass die Oper heute nur noch selten gegeben wird, mag an ihrem letzten Akt liegen, der die widersprüchliche Idee von einem gleichzeitig fremd und selbstbestimmten Individuum mit einer Überdosis Erlösungspathos aushebelt. (...)
Und um eine Übersetzung des Mythos und seiner Opernfassung hat sich der Regisseur Hans Neuenfels verdient gemacht, indem er zuallererst den vierten Akt komplett strich. Außerdem pflanzt der dem Stück einen Blick von außen, von heute ein: Beim Vorspiel kommt ein Mann mit Stirnlampe auf die Bühne, betrachtet die zahlreichen Formeln, welche die verschiebbaren Schieferwände von Rifail Ajdarpasics Bühne bedecken, schreibt, vertieft, beobachtet, mischt sich ein - und schlüpft schließlich in die zentrale Partie. Der Forscher ist Ödipus; „Das werde ich sein“ hat schon zuvor einer jener Zwischentexte, mit denen Neuenfels das Geschehen reflektiert, den Rollenwechsel erläutert. „Die Geschichte holt mich ein“, liest man später, und: „Will ich das? Was wäre die Alternative?“ (...)
Seine Wirkung entfaltet der Abend maßgeblich auch durch die Sänger, und die Wirkung ist mächtig: ein Neuenfels-Theater der durchdachten, mehrbödigen, auch amüsanten Art. (...)“ Stuttgarter Nachrichten
“(...) Das Weltwissen in dichten Kreideformeln an den Wänden, irgendwo ein "Ich" und ein "Es". Klar, Sigmund Freud und Ödipus, da war etwas. Bei Neuenfels wird Ödipus vom Riesen-Penis seines leiblichen Vaters Laios (Hans-Jürgen Lazar) gedemütigt, bevor er ihn, den König von Theben, tötet. Die begehrte Mutter Iokaste, die verführerische Sphinx: Alles drin in dieser jüngsten und wieder höchst spektakulären Neuenfels-Regie. Er hat mit seinem Ausstatter-Team Rifail Ajdarpasic (Bühne) und Elina Schnizler (Kostüme) die Oper des Rumänen George Enescu überhaupt zum ersten Mal auf die Frankfurter Opernbühne gebracht, seit sie 1936 in Paris uraufgeführt wurde. (...) Er bietet handfestes Theater, erzählt ein Leben als Handlung, mit harten, starken, schockenden Bildern, deren letztes Ödipus mit schwer blutenden, leeren Augenhöhlen zeigt. Dass die Personenführung bis ins Detail durchdacht ist, versteht sich bei Neuenfels von selbst. Und die Sängerdarsteller, die alle in ihren Partien debütieren, tragen diese Verdichtung von optisch zeitlosem Mythos, von Psyche, Leben, Gewalt und Schuld hervorragend mit. (...)“ Wiesbadener Kurier
“Diese 100 pausenlosen Minuten Oper rühren an die Substanz. Wenn Ödipus auf einer Bühne erscheint, geht es schließlich höchst essenziell zur Sache. (...) Der streitbare Regie-Virtuose Hans Neuenfels hat „Oedipe“ nun in einer spektakulären Neuinszenierung für die Oper Frankfurt entdeckt, die den Vierakter zuvor nie gezeigt hatte. Drei Akte sind bei Neuenfels daraus geworden, den letzten hat er gestrichen, weil ihm der von Enescus französischsprachigem Librettisten Edmond Fleg angepappte, christlich geprägte Erlösungsschluss zum antiken Mythos nicht passen konnte. Das Geschehen davor wirkt damit umso fataler: Als biederer Anzugträger schaut sich Oedipe zunächst wie ein Archäologe sein eigenes Werden an - dafür taucht in der Szene eines dieser typischen Neuenfels-Eier auf, aus denen selten etwas Gutes entsteht, wie man etwa seit seiner aktuellen Bayreuther „Lohengrin“-Inszenierung weiß. Der Zeuge Oedipe wird freilich bald in die Szene hineingezogen, als ob sich dieses Schicksal wieder und wieder ereignen könnte. Die Welt ist dafür der Rahmen: Bühnenbildner Rifail Ajdarpasic hat schmutzige Wände mit zahllosen naturwissenschaftlichen Kreideformeln vollgekritzelt, auf die sich immer wieder konkretere, auch banale Textprojektionen legen. (...) Das Drama des Oedipus selbst ist ein persönliches, vielschichtig deutbares. Und so packt Neuenfels jede Menge Ideen in diese fesselnde Frankfurter Erstaufführung hinein: (...) Nach 100 Minuten ist erst einmal kräftiges Durchatmen nötig. Spannend!“ Offenbach Post
“Schwarz ist die vorherrschende Bühnenfarbe des Abends, ungeschminkt die Sicht von Altmeister Hans Neuenfels auf eine bekannte Geschichte in einer unbekannten Oper. Die Rarität »Oedipe« von George Enescu feierte in Frankfurt am Sonntagabend Premiere. 1936 in Paris uraufgeführt, erzählt sie die Geschichte vom Königssohn Ödipus, der sich, obwohl er stets das Gute sucht, schuldlos schuldig immer tiefer in sein Schicksal verstrickt. (...)
In jeder Sekunde des teils überdeutlich zugespitzten Bühnengeschehens ist spürbar, wie sehr Neuenfels Enescus' Version des Atridenmythos, den einstigen Regierabauken, fasziniert. Eine Figur hat der Regisseur dazu erfunden, um nicht nur die Bühne, sondern gleich das ganze Opernrund in einen archäologischen Hörsaal zu verwandeln.
Simon Neal, der grandiose Sprechsänger des »Oedipe«, betritt anfangs als Archäologe mit Stirnlampe die Bühne und gräbt sich neugierig durch die kulturellen Schichten seines eigenen Mythos. Schließlich steigt er ins Geschehen ein und wird selbst zur Hauptfigur. Vor der bedrohlich hohen Fläche von schwarzgrauen Schultafeln, die Bühnenbildner Rifail Ajdarpasic aufgetürmt hat, übersäht mit Kreideformeln, mathematischen Erkenntnissen und Schulweisheiten, kämpfen die Akteure einen aussichtslosen Kampf gegen den grausamen Gott Apoll und die Verfluchung des Tiresias.
Die durchweg hervorragenden Sängerdarsteller, die genaue Personenregie Neuenfels' und die eigenwillige Musikhandschrift Enescus ergeben ein Gesamtkunstwerk. (...)“ Gießener Allgemeine Zeitung
“(...) Wieder einmal ist es die Oper Frankfurt, die ein bislang meist „stummes“ Meisterwerk zum Klingen bringt: Enescus nach langem Ringen 1936 uraufgeführtes Musikdrama „Oedipe“. Dirigent Alexander Liebreich entfaltete mit dem Frankfurter Museumsorchester allen spätromantischen Klangzauber der sofort zugänglichen und eingängigen Musik, die der Bühne dient, aber sie auch kommentiert - vom vehementen Ausbruch bis hin zur fahlen Verzweiflung, zu der Enescu ein Saxophon einsetzt. Der meist als Volksmasse auftretende Chor muss reagieren, mal nur mit Einzelstimmen, mal kompakt, was in der Einstudierung von Matthias Köhler eine weitere, leuchtende Klangfolie bildete, ergänzt zusätzlich durch die aus Off hereintönenden Erynnien.
Oedipe ist ein Wissenschaftler von Heute, der bei seinen Forschungen auf diese Herausforderung samt ihrem antiken Personal und einer Punker-Gruppe als Erynnien stößt - und sich dem stellt. Das aus bühnengroßen dunklen Schultafeln bestehende Bühnenbild von Rifal Ajdarpasic vereint gleichsam alle Formeln heutiger Weltbeschreibung, chemische, philosophische, mathematische - doch trotz all dieses Wissens und der vom Schicksalsspruch ausgelösten Flucht aus der Heimat tötet Oedipe den ihm unbekannten Vater nach einer rüden Demütigung, die aus Bildern von US-Soldaten im Irak abgeleitet ist. Die betörende Sphinx, die Oedipe die Frage nach dem Wesen stellt, das stärker als das Schicksal ist, bezwingt er mit der vehementen Antwort „Der Mensch!“ - und in einer musikdramatisch faszinierenden Ergänzung des mythischen Originals lässt Enescu die Sphinx mit Gelächter sterben - in der Schwebe zwischen Verzweiflung über ihren Tod wie voller Hohn über die lächerliche Antwort. (...)
Hier beeindruckt Bariton Simon Neal als Oedipe: nach dem anfangs noch selbstbewusst Suchenden gelingt ihm der dramatisch große Bogen zum ausweglos Gescheiterten, der sich nun am Ende wissend selbst blendet: mit ausgestochenen Augen lässt er sich von Tochter Antigone davonführen. Das führt Neuenfels mit präziser Personenregie in teils heutigen, teils phantastisch ethno-antikisierenden Kostümen eindringlich gegen unsere wissenschaftlich fundierte Selbstgewissheit vor - und entlässt das beeindruckte Publikum mit dem projizierten Herausforderung: „Es gibt keine Erkenntnis außer der Hoffnung“.
Dem mitdenkenden Musiktheaterfreund wird klar: auch wenn wir mit Nelson Mandela eben einen beispielhaften Gegenentwurf zu Oedipe erlebt haben - unsere Kriegs- und Umweltkatastrophen lösen wir trotz all unseres Wissens nicht - es bleibt nur „Hoffnung auf…“.“ Neue Musikzeitung (NMZ)
“Der Mensch ist Forscher in eigener Sache. Als Archäologe, bewaffnet mit Lampe, Werkzeug und Notizblock, steigt er ins Dunkel der eigenen Vergangenheit. Hier findet er im Dämmerlicht himmelhohe Wände: Schultafeln, beschrieben mit Formeln und Berechnungen -Hieroglyphen eines Wissens, das die Welt doch nicht erklären kann. Ödipus heißt der Archäologe. Er wird gleich Zeuge seiner eigenen Geburt, bevor er durch eine symbolische Tür selbst ins Spiel eintritt. „Oedipe“ heißt die leider selten gespielte Oper von George Enescu, die in der Inszenierung von Hans Neuenfels Premiere an der Frankfurter Oper hatte. Gerade diese Eingangsszene zeugt von der musikalischen Kraft des Komponisten, der hier scheinbar leichtfüßig eine arkadische Idylle vor die Ohren zu zaubern versteht, in die dann das Unheil hereinbricht. Hauptwerk des rumänischen Komponisten, das 1936 in Paris aus der Taufe gehoben wurde, stellt höchste Ansprüche an Mitwirkende und Zuhörer. Auch an die Regie: „Gekleidet in den Mythos geht es um die zentrale Frage des Menschen“, erläutert Neuenfels gegenüber dieser Zeitung. „Wird unser Leben von einem Schicksal beherrscht, oder sind wir eigenbestimmt?“ Diese Frage, die auf Erkenntnis ziele, werde bei Enescu zu einem sinnlichen Diskurs. In der wandlungsfähigen Schultafelkulisse wird das sogar erotisch spürbar: in der Sphinx-Szene, die mit der wohl unheimlichsten Musik der Operngeschichte ausgestattet ist. Hier erscheint die Sphinx nicht als mordendes Monster, sondern als laszive Lady. Das Frage-und-Antwort- Quiz mit Oedipe wird zum heftigen Flirt. Dass Oedipe dabei die Sphinx oral befriedigt, macht keinen Schockeffekt. Denn auch Sex gehört zur Selbstfindung. Um diese geht es im tödlichen Spiel mit der Sphinx. Was ist stärker als das Geschick? So ihre Fangfrage. „Der Mensch“, lautet die Antwort, die sie vernichtet. Sie ist auch die einzige Figur, die vor einer leeren Tafel agiert: Sie sagt die Wahrheit, aber ist doch unwissend.
Unwissend wie alle anderen. So tritt Oedipe, König von Theben, als weiß bekittelter Medizin-Dozent vor die ratlosen Thebaner im Hörsaal. Es gibt aber keine Antwort auf die Frage, wie der in der Stadt wütenden Pest Einhalt geboten werden könnte.
Dass die Oper in deutscher Übersetzung gegeben wurde, verdichtet das Drama auch rein praktisch. Das Auge des Zuschauers klebt nicht mehr an der Übersetzung über der Bühne, sondern bleibt auf diese gerichtet. Zudem ist es eine nette Absage an den Originalsprachen-Fetischismus. Bedenklicher: Der vierte Akt wurde gestrichen. Der Frankfurter „Oedipe“ endet mit der Wehklage der Thebaner, nachdem sich der amoklaufende Ödipus die Augen ausgestochen hat: Der Vatermörder und Blutschänder ist, sein Schicksal erkennend, sehend geworden. „Der vierte Akt ist gegenüber den vorangegangenen nicht radikal genug“, so Neuenfels. „In ihm wird die Geschichte in eine christlich geprägte Erlösungstheorie eingebettet.“
In der Inszenierung von Altmeister Neuenfels scheint diese Fassung schlüssig. (...)“ Bonner Generalanzeiger
“(...) Der englische Bariton Simon Neal liefert mit dramatischem Stimmvolumen und eindringlicher Deklamationkunst ein vielschichtiges Charakterporträt des Titelhelden.
Von Ödipus' Geburt bis zu seiner Blendung im Moment tragischer Selbsterkenntnis verfolgt der Zuschauer in Rifail Ajdarpasics aus verschiebbaren Wänden konzipiertem Bühnenbild den blindwütigen Sturmlauf eines Menschen gegen das Schicksal, der darin endet, dass dieser dem Geschehen schließlich ins Messer läuft.
Wie eine hohe Tafel, auf der die Bruchstücke menschlicher Welterkenntnis versammelt scheinen, sind die schwarzen Bühnenwände dicht mit Formeln und Lehrsätzen beschrieben. Mit einer Taschenlampe an der Stirn dringt ein Altertumsforscher während der Ouvertüre in die dunklen Gefilde des Mythos ein. Ein weißes Ei senkt sich vom Bühnenhimmel herab, öffnet sich zur Wiege des Ödipus. Fasziniert von dem sich vor seinen Augen vollziehenden mythologischen Geschehen, identifiziert sich der Archäologe immer stärker damit und schlüpft schließlich in die Rolle des antiken Helden. (...)“ Darmstädter Echo
“Der Mythos von Ödipus ist eine sehr alte Geschichte. Sie war schon alt, als Sophokles sein Drama schrieb - bereits Homer erwähnt die Sage um 800 vor Christi. Steckt dahinter ein Modell, ein Muster, eine Matrix, die noch heute gilt? In Frankfurt rückt jetzt Hans Neuenfels diese Frage in aller Deutlichkeit in den Fokus seiner Inszenierung von George Enescus nur selten gespielter, 1936 in Paris uraufgeführter Oper „Oedipe“. Wir sehen einen düsteren, verschachtelten Raum von Rifail Ajdarpasic, er erinnert von ferne an das Innere einer Pyramide. Nur dass die Wände von Schreibtafeln gebildet werden, auf denen lauter Formeln, Lehrsätze, Molekülstrukturen stehen: Ödipusformeln? Beispiele für all das Wissen, das dem blinden Seher Teresias nur eine Last ist, weil es sinnlos bleibt, untauglich zur Rettung des Menschen vor dem Schicksal?
Ein Mann in legerem Freizeitanzug dringt in die Ödipus-Katakombe ein, ein Forscher womöglich, mit einer Lampe am Stirnband. Er untersucht die Höhle, beginnt zu schreiben, und plötzlich erstehen die alten Figuren auf: Jokaste, Kreon, der Hohepriester, das Volk von Theben. Ein schönes weißes Ei sinkt hernieder, golden im Innern: Ödipus wird geboren, Teresias verkündet den Fluch Apollos. Weil aber das Innere des Eis leer bleibt, übernimmt der faszinierte Höhlenforscher die Hauptrolle. Ödipus: eine mythologische Leerstelle, die jede Gegenwart, jede Generation neu mit Leben und Sinn erfüllen muss. Das ist in dieser Inszenierung Hans Neuenfels' theatralische Sendung - und auf der Bühne die Mission des Höhlenforschers.
Neuenfels also lädt die Zuschauer ein zum Gedankenspiel über Aktualität des Mythos. In diesem Sinne bietet er mannigfache Assoziationsanreize. Er aktualisiert allerdings nie direkt - das würde der Überzeitlichkeit des Mythos widersprechen. (...)
Dass dieser Abend dennoch lebendiges Musiktheater ist, liegt auch an den hervorragenden Solisten. Simon Neal singt und verkörpert den tragischen Titelhelden mitreißend. Sein dunkler, basswuchtiger Bariton hat alle Kraft, aber auch die nötige Eleganz und Kultur für diese anspruchsvolle Partie und vor allem enorme empathische Ausstrahlung.(...)“ Die Deutsche Bühne
“Wie inszeniert man eine Oper, die niemand kennt? Gewöhnlich halten sich Regisseure dann eng an die Vorlage, bleiben nah am Text und erzählen, bisweilen etwas brav, eine nachvollziehbare Geschichte. Ein Werk gegen den Strich zu bürsten oder es in seine Einzelteile zu zerlegen und neu zusammenzusetzen, das halten Stücke aus, die bekannt sind, mit denen der Zuschauer vertraut ist. (...) Es geht um Ödipus, der seinen Vater erschlägt, seine Mutter heiratet, Kinder zeugt und sich nach der Entdeckung dieser Taten die Augen aussticht und sich, geplagt von Selbstvorwürfen, nach Kolonnos zurückzieht. (...)
Hans Neuenfels, der „Oedipe“ jetzt an der Oper Frankfurt neu inszeniert hat, ist das zu wiederum zu viel. Er kann mit dem versöhnlichen Schluss, einer Art Himmelfahrt des Helden am Ende der Oper, wenig anfangen und hat den letzten Akt schlichtweg gestrichen. Einige Chorpassagen im dritten Akt hat er auf die Solisten verteilt, dem Stück dadurch ein wenig mehr Drive verliehen und es schließlich auf 100 Minuten gebracht, in denen er sich an der zentralen Frage des Stückes abarbeitet. Die Sphinx fragt Ödipus nämlich, was stärker als das Schicksal sei, und dieser antwortet überaus selbstbewusst: der Mensch! Doch kann er, Wissenschaft, Erkenntnis, Rationalität hin oder her, seinem Schicksal nicht entgehen. Neuenfels lässt ihn als Archäologen bereits im ersten Akt auftreten, wo er quasi seiner eigenen Geburt zusieht bzw. sich mit dem Neugeborenen identifiziert und beschließt, gegen das vorbestimmende Schicksal anzugehen. Die Kostüme von Elina Schnizler lassen historische Assoziationen zu, ohne diese zu konkret werden zu lassen, die Bühne von Rifail Ajdarpasic besteht aus riesigen verschiebbaren Schultafeln, auf denen mit Kreide geschriebene wissenschaftliche Formeln stehen: teils überschrieben, teils verwischt. Ödipus geriert sich als Aufklärer, verfängt sich aber dadurch immer mehr in seiner Rolle, getrieben und angestachelt von der Masse. Und indem er immer stärker gegen das Schicksal ankämpft, das gerade ist die Paradoxie des Mythos, verstrickt er sich immer mehr in dasselbe. (...)
Abgesehen vom Ödipus des Simon Neal, der alle Facetten menschlichen Leids ungemein eindrücklich vermittelt, sind alle Rollen mit wunderbaren Frankfurter Ensemblemitgliedern besetzt, aus denen die flirrende Sphinx von Katharina Magiera und die bestürzte Jokaste von Tanja Ariane Baumgartner herausragen. Der Dirigent Alexander Liebreich siedelt Enescu zwischen Spätromantik und Moderne an, forciert letztere nicht, versinkt aber auch nicht ersterer, findet immer den richtigen Ton für eine überaus farbenreiche und klangsatte Partitur. (...)“ Rhein-Neckar-Zeitung (Heidelberg)
“Die Frankfurter Version von Enescus "Oedipe", in einer sprachlich schnörkellosen Neuübersetzuung von Henry Arnold dargeboten, entfaltet, und da ist die Rechnung von Neuenfels aufgegangen, in den kurzen 100 Minuten eine bezwingende Wucht. Neuenfels erzählt den Mythos und formt zugleich die Darsteller, allen voran Simon Neal in der Titelrolle, zu echten Charakteren, deren Singen eine Ahnung von der Gewalt des griechischen Drama aufkommen lässt. (...)
Im Bühnenbild von Rifail Ajdarpasic, ein mit mathematischen, chemischen und physikalischen Formeln bemalter Raum (Überthema des Stückes ist menschliche Erkenntnis) trifft sich das mythologische Personal aus aller Herren Zeiten und Länder in opulenten Kostümen von Elina Schnizler: Laios ist ein Römer, Kreon ein Azteke, seine Begleiter Punks, der Chor vielleicht chinesische Soldaten. Oedipus ist ein Mann von heute, mal im Freizeitanzug, mal im Arztkittel oder Bademantel und Frauen Glamourfiguren aus den 20er Jahren, allen voran die Sphinx, deren Rätselaufgabe zum erotischen Spiel wird - brillant inszeniert und in Vierteltönen und Glissandi verführerisch gesungen von der jungen Altistin Katharina Magiera. Dirigent Alexander Liebreich hat ein Gespür für die von Enescu angestrebte Klarheit: Der bedrohliche Donnerton bei der Tötung des Laios ist ein kurzes vierfaches Forte, aber schnell wieder vorbei, der Dialog von Jokaste und Oedipus eine stachelige Verzweiflungsmusik. Das Einzelne ist sprechend, aber nicht um den Preis einer zerfasernden Form.“ WDR-Blog
“(...) Dirigent Alexander Liebreich entfaltete mit dem Frankfurter Museumsorchester allen spätromantischen Klangzauber der sofort zugänglichen und eingängigen Musik, aber auch die fahle Verzweiflung, zu der Enescu etwa ein Saxophon einsetzt. Als bühneninteressierter Dirigent hat Liebreich Regisseur Hans Neuenfels zugestimmt, den fast christlich auf Erlösung gestimmten 4.Akt des Werkes zu streichen. Denn als Kenner mythisch antiker Stoffe will Neuenfels deren Aktualität szenisch vorführen: kann ein Mensch sich gegen das Schicksal behaupten? Ödipus ist ein Wissenschaftler von Heute, der das versucht. Das aus bühnengroßen Schultafeln bestehende Bühnenbild von Rifail Ajdarpasic vereint gleichsam alle Formeln heutiger Weltbeschreibung - und dennoch tötet Ödipus den ihm unbekannten Vater, bezwingt zwar die Sphinx, lässt sich aber zur Ehe mit der nicht erkannten Mutter verführen - und bekennt am Ende seine maßlose Blindheit: mit ausgestochenen Augen lässt er sich von Tochter Antigone davonführen.
Das führt Neuenfels mit einem präzise gezeichneten, vokal glänzenden Solistenensemble in teils heutigen, teils phantastischen Kostümen eindringlich gegen unsere wissenschaftlich fundierte Selbstgewissheit vor - und entlässt das beeindruckte Publikum mit dem projizierten Satz: „Es gibt keine Erkenntnis außer der Hoffnung“.“ BR 5-Kulturnachrichten
“(...) Riesige Tafeln auf der imposanten Bühne von Rifail Ajdarpasic - darauf unzählige chemische Reaktions-Formeln, mathematische Gleichungen, Zufalls-Variablen- und Wahrscheinlichkeits-Berechnungen. Sind wir in der Uni Frankfurt gelandet? Doch dann kommt ein Mann auf die Bühne - Tuch um den Kopf gebunden, Taschenlampe in der Hand - und begutachtet die Tafel-Kritzeleien als seien es ägyptische Hieroglyphen. Hans Neuenfels hat sich auf den Oedipus-Stoff einen eigenen Reim gemacht, erzählt hier sozusagen eine „Meta“-Geschichte: (...)
Einen Archäologen also lässt Neuenfels vor Mathe-Formeln in der Oedipus -Tragödie tiefschürfen - doch mit Wahrscheinlichkeits-Berechnungen kommt der hier nicht weit. Der grandiose Schauspielersänger Simon Neal singt den Archäologen Oedipus in Frankfurt als Einzelgänger mit Hang zum Magengrimmen - zumal er ahnt, dass da irgendwas faul ist im Staate Korinth. Um dem Orakelspruch aus Vatermord und Mutterehe zu entkommen, flieht das unwissende Findelkind die wissenden Pflege-Eltern - um kurz darauf dem „echten“ Vater im Wege zu stehen: Ein in Helm und Rüstung buchstäblich schwer einzunehmender Unsympath, der Oedipus von einer wilden Punker-Horde festhalten lässt - um genüsslich auf ihn zu urinieren. Der weißglühend provozierte Sohn erschlägt den Vater. Drastisch, plausibel erzählt Hans Neuenfels den unbewussten Vatermord. Der Weg zur Mutter führt dann übers Rätselraten, mit der Sphinx. (...)
In einer eigens ins Deutsche neu übersetzten Version setzt Hans Neuenfels seinen Frankfurter „Oedipe“ in packende Bilder - und George Enescus 1936 in Paris uraufgeführte, einzige Oper ist es jeden Ton wert, wiedergehört zu werden. (...) So gelingt in Frankfurt mit Enescus „Oedipe“ ein großer Wurf, der gern Nachahmungstäter finden sollte.“ Deutschlandfunk-Musikjournal
“(...) Ödipus' Verhängnis ist das Unwissen, auch wenn er verzweifelt versucht, zu Erkenntnis zu gelangen. Sein scheinbar selbstbestimmtes Handeln folgt in Wahrheit dem grausamen Plan höherer Mächte.
Neuenfels und sein Bühnenbildner Rifail Ajdarpasic haben für diese Erkenntnissuche ein plausibles Bild gefunden. Die Bühne zeigt einen katakombenartigen Raum, dessen Wände aus hohen Schiefertafeln bestehen. Auf den Tafeln sind Formeln, Lehrsätze und Atommodelle mit Kreide aufgemalt, teils verwischt, teils überschrieben: vorläufiges, unfertiges Wissen. Zu den Klängen des Orchestervorspiels gerät ein Archäologe mit Stirnlampe in diese Wissenshöhle. Er erforscht sie vorsichtig und läßt sich schließlich am Bühnenrand nieder. Volk und Königspaar von Theben erscheinen, teils in antikisierenden, teils in phantastischen Kostümen, um mit archaischen Riten die Geburt des Königssohns feierlich zu begehen, die von einem aus der Bühnendecke herabschwebenden überdimensionalen Ei symbolisiert wird. Der Archäologe beobachtet und macht sich Notizen. Eine Schrifteinblendung erscheint über dem Ei: „Das werde ich sein.“ Und tatsächlich tritt der Archäologe nach dem dann folgenden Zeitsprung an den Hof von Korinth durch einen frei im Raum stehenden Türrahmen selbst als Ödipus in die Handlung ein. Es ist seine Geschichte, die hier erzählt wird. Und diese Geschichte arrangiert Neuenfels geradezu altmeisterlich. Die einzelnen Figuren werden in Auftritt und Gestik gekonnt individualisiert. Die Personenführung von Einzeldarstellern und Chorkollektiv zeigt eine virtuose Selbstverständlichkeit ohne Leerlauf. Wo es ganz selten dann etwas drastischer wird, ist auch dies von der Handlung legitimiert.“ Der Opernfreund
“(...) so ist auch der titelgebende Ödipus in seiner Inszenierung zunächst ein die Wahrheit suchender Archäologe, der seiner eigenen Geburt beiwohnt: aus einem übergroßen, innen blendend (!) golden strahlenden Ei, welches aus den Schnürboden herabgelassen wird.
Doch der Forscher und Wahrheitssucher vergisst, was er bei der königlichen Kindergeburts-Feier erlebt hat, insbesondere die Prophezeiung, dass Oedipus seinen Vater töten und seine Mutter Jokaste heiraten werde. Nun verkörpert er selbst jenen ausgesetzten und zum Tod, aber geretteten Königssohn, der die gefährliche Sphinx besiegt, sich angesichts der Erkenntnis seines Handelns blendet, seine Stadt Theben zu deren Rettung vor der Pest verlassen und an der Hand seiner Tochter emigrieren muss. (...) der Bühnenraum von Rifail Ajdarpasic zeigt die Welt als Lehranstalt, in Form unendlicher Schullehr-Meinungen auf kreideweiß beschrifteten, staffelnd den Raum füllenden Schultafeln. Leuchtende Pfeile, wie im Flugzeug, scheinen die Richtung der Lehrmeinung vorschreibend zu intensivieren. Doch ein leerer weißer Türrahmen führt nicht in einen anderen (Erkenntnis-)Raum, sondern lässt den Durchschreitenden stets wieder im selben Raum ankommen. (...) Das Publikum, darunter zahlreiche von weither angereiste Besucher, quittierte die Premiere mit viel Zuspruch.“ Theater Pur
“(...) Jetzt gibt es das Werk in einer Inszenierung der Oper Frankfurt. Regisseur Hans Neuenfels lässt seinen Ödipus als forschenden Beobachter das eigene Schicksal untersuchen. Dramaturgisch funktioniert das bestens, wenn er etwa die eigene Geburt beobachtet, wenn das so sehnlich gewünschte Kind, allerdings gegen den Willen der Götter gezeugt, dem Königspaar in einem goldenen Ei aus dem Himmel des Theaters beschert wird.
Das Theater ist ein Raum von Rifail Ajdarpasic mit verschiebbaren Wänden, die über und über mit Formeln und Gleichungen beschrieben sind, ein optischer Verweis auf den Forscher Ödipus und seinen faustischen Drang nach Selbsterkenntnis. (...)
Ein Schriftzug verkündet in dieser Aufführung, dass keine andere Erkenntnis bleibt als die der Hoffnung, denn der vierte Akt ist in dieser auch ansonsten leicht bearbeiteten Aufführung komplett gestrichen. Das mag stimmig sein im Sinne der Regie, im Sinne des Regisseurs, dem die Frage nach Schuld und Erlösung nicht so viel bedeutet, vor allem weil hier - und da schließt sich der Dirigent gehorsam an - möglicherweise christliche Motive ins Spiel kommen könnten. (...) Die Frankfurter Entscheidung ist konsequent. (...)
Zudem steht ein grandioses Sängerensemble zur Verfügung. Simon Neal überzeugt rundum in der Wahnsinnspartie des Oedipe. Er hat den Ton nötiger Sachlichkeit, den großen Anspruch des emotionalen Ausbruchs, auch die nachdenkliche Zerbrechlichkeit und, nicht zu vergessen, grandiose Textverständlichkeit. In Frankfurt gibt es eine Fassung in deutscher Sprache, eine Neuübersetzung des Textes von Edmond Fleg durch den Dramaturgen Henry Arnold.
Mit Tanja Ariane Baumgartner als Jokaste und Katharina Magiera als Sphinx sind die beiden heiklen Partien hervorragend besetzt. Von der Kraft des Frankfurter Opernensembles zeugt die Besetzung aller weiterer Partien unterschiedlichen Maßes und die Leistung des vom Matthias Köhler einstudierten Chores.“ Magazin Klassik
“(...) In heftigen Applaus mischen sich grundlose Buhs für Hans Neuenfels. Der Regie-Altmeister ist sichtlich zufrieden. (...) Punks bevölkern die Bühne, Decken und Wände sind mit irrwitzigen Gleichungen übersät. Als hätte Neuenfels die Formel des Lebens gefunden - die keiner versteht... Wertung: SEHR GUT“ Bild (Frankfurt)
“(...) Persa oramai la carica incendiaria degli esordi dopo più di trent'anni di mestiere, il regista Hans Neuenfels ha mantenuto tuttavia un certo gusto beffardo e un approccio, per così dire, creativo alla drammaturgia originale dei lavori che mette in scena. (...) In controtendenza sui tempi, all'originale francese preferisce una nuova versione (la prima mai realizzata) tedesca, lingua più adatta di quelle romanze a definire in maniera più precisa la semantica del testo. (...)
La tragedia dell'inconsapevolezza si consuma nella suggestiva scena ricoperta di formule scientifiche di Rifail Ajdarpasic. Di Elina Schnizler sono i costumi realizzati con estro creativo e qualche stravaganza. (...) La direzione di Alexander Liebreich dà il giusto rilievo alle sinuose linee melodiche di Enescu e alla plasticità dei frequenti interventi corali. Ottimi orchestra, coro e il composito cast, sul quale si impone l'Edipo di Simon Neal reso con grande vigore e il necessario spessore tragico. Accoglienza calorosa.“ Giornale della Musica